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Überlegungen eines nach Wissen Strebenden

Wie viele von uns erlebten (oder gar schimmer: beteiligten sich an) endlose(n) Debatten über diese Meinung oder jene Fatwa (religiöses Rechtsgutachten)? Wie oft haben wir die Glaubwürdigkeit unserer Gelehrten angezweifelt (die den Großteil ihres Lebens diesem einladenden Ruf zum Islâm widmeten), nur weil wir mit ihrer Meinung nicht zufrieden waren?

„Eine Methode, sich einen guten Charakter und gutes Verhalten anzueignen, besteht darin nach Wissen zu streben“, sagte unser Lehrer, „und zwar bei einem Gelehrten, der bei jemandem gelernt hat.“

 

Gestern Nacht gab unser Lehrer uns diesen Rat, bevor wir unseren allwöchentlichen Kurs im islâmischen Recht begannen. Daraufhin erzählte er uns eine Geschichte:

 

„Mein erster Lehrer war ein Ozean voller Wissen. Möge Allâh ihn beschützen! Einmal, als ich mit ihm in der Moschee lernte, bat er mich, auf ihn zu warten. Ich saß da und wartete auf ihn vom Nachmittagsgebet bis zum Abendgebet. Dann kam er zurück und sagte: Heute hast du eine Lektion gelernt, die du niemals in Büchern lernen wirst.  Daraufhin bat er mich zu gehen.“

 

Als ich darüber nachdachte, was unser Lehrer gesagt hatte, einher mit der Geschichte, die er erzählt hatte, kam ich nicht umhin, zu erkennen, wie und warum wir uns als „Nach-Wissen-Strebende-Möchtegerns“ in vielen Debatten und nutzlosen Diskussionen verlieren. Die meisten unserer Gelehrten (wenn auch nicht alle) haben bei kenntnisreichen Scheichs gelernt, die sie erzogen und ihnen Benehmen und Anstand beibrachten, bevor sie sie eine Islâmwissenschaft lehrten. Sie verstanden sehr wohl, dass ihre Aufrichtigkeit, Demut und anspruchslose Einstellung gegenüber anderen Muslimen und jedermann weitaus wichtiger war, als Bände von Büchern auswendig zu lernen.

 

Dieses schöne Benehmen wurde ihnen jedoch nicht auf einem goldenen Teller serviert. Vielmehr durchliefen sie einen harten Prozess der Disziplinierung, Herausforderung und Selbsteinschätzung. Während sie den Qurân und das Sahîh-Werk von Al-Buchârî auswendig lernten, erzogen sie ihre Herzen und ihren Geist und korrigierten Dinge in ihnen. Und weil Allâh der Hocherhabene ihnen dabei half, dies (und noch viel mehr) zu tun, sind sie jetzt in der Lage, mit unseren Gemeinden umzugehen. Sie sind in der Lage, respektvolle Diskussionen und Debatten mit Menschen zu führen, die ihnen nicht zustimmen. Sie sind fähig, mit Kritik und Beleidigung umzugehen und benutzen dies als Mittel, um sich zu verbessern. Das Wichtigste ist, dass sie dazu beizutragen vermögen, im Großen und Ganzen Tugend und Menschlichkeit in ihre Gemeinden zu bringen. Aller Lobpreis gebührt Allâh!

 

Es ist sehr interessant, den Prozess, den unsere Gelehrten und Scheiche durchliefen, damit zu vergleichen, wie wir „islamischer Erziehung nachgehen“. Die meisten von uns hier im Westen berufen sich bei ihren Fragen auf Wikipedia oder „Scheich Google“. Einige bemühen sich mehr und melden sich bei Unterrichten in örtlichen Moscheen oder Instituten an. Einige gehen sogar noch einen Schritt weiter und verpflichten sich dazu, bei einem Scheich oder einem nach Wissen Strebenden zu lernen. 

 

Aller Lobpreis gebührt Allâh! Wir alle arbeiten hart daran und geben unser Bestes mit den Ressourcen, die uns zur Verfügung stehen. Doch um ganz ehrlich zu sein: Wöchentliche Unterrichte zu besuchen oder wöchentlichen Diskussionsrunden beizuwohnen wird niemals dasselbe sein, wie vier bis fünf oder mehr Jahre des Lebens dem Lernen zu widmen. Aus Büchern zu lernen wird einen nicht immer demütig machen und man wird von der Tatsache geschockt sein, dass es sehr viel Wissen da draußen gibt, das man nicht kennt. Dennoch…

 

Wie viele von uns erlebten (oder gar schimmer: beteiligten sich an) endlose(n) Debatten über diese Meinung oder jene Fatwa (religiöses Rechtsgutachten)? Wie oft haben wir die Glaubwürdigkeit unserer Gelehrten angezweifelt (die den Großteil ihres Lebens diesem einladenden Ruf zum Islâm widmeten), nur weil wir mit ihrer Meinung nicht zufrieden waren? Was ist davon zu halten, dass wir mit unseren Lehrern debattieren und sie mit unangemessener Wesensart herausfordern? Oder wie oft haben wir damit begonnen, Menschen und Gruppen abzustempeln, und bestätigt, wer in den Himmel kommt und wer in die Hölle? Die traurige Realität ist, dass all diese Szenarien unzählige Male vorkamen – und weiterhin vorkommen.

 

Der Prophet (möge Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken) sagte (frei übersetzt): «Möge Allâh Barmherzigkeit mit denjenigen haben, die ihren Wert kennen!» Als „Nach-Wissen-Strebende- Möchtegerns“ müssen wir zu allererst unsere Absichten korrigieren und uns vor Allâh dem Hocherhabenen demütigen. Wir müssen uns daran erinnern, dass jedes Wissen, mit dem Allâh uns segnet, zu Seinen Diensten und zur Menschlichkeit verwendet werden muss und nicht für Debatten und lange Diskussionen im Internet! Wir müssen sicherstellen, dass wir, während wir all diese Unterrichte besuchen, gleichzeitig an der Entwicklung und Läuterung unseres Ichs arbeiten – so Allâh will!

 

Möge Allâh der Hocherhabene uns das lehren, was uns nützt! Möge Er uns Aufrichtigkeit und Demut gewähren, um nach Wissen zu streben und nach Weisheit, um dieses anzuwenden! Möge Er uns zu den Gelehrten gehören lassen, oder uns zumindest mit deren Gesellschaft segnen, damit wir von ihrem Verhalten lernen und von ihrer Ausbildung profitieren!

 

Möge Er all unsere Gelehrten, Lehrer und Mentoren belohnen und ihnen und ihren Familien viel Geduld gewähren! Mögen wir lernen, sie zu respektieren, zu schätzen, zu lieben und Bittgebete für sie zu verrichten!

 

Âmîn, o Allah!


Quelle: islamweb.net