Das allumfassende Spektrum der islâmischen Wertordnung
Die islâmische Weltsicht umfasst alle Orte, Zeiten und Angelegenheiten:
Am Anfang des Qurâns wird das betont: {„(Alles) Lob gehört Allâh, dem Herrn der Welten.“} [Sûra 1:2] und auch zu dessen Ende: { „Sprich: Ich nehme Zuflucht beim Herrn der Menschen, dem König der Menschen, dem Gott der Menschen.“} [Sûra 114:1-3]
Dazwischen stehen zahlreiche Verse in verschiedenen Sûren, die deutlich zeigen, dass die islâmische Religion sich als umfassende Botschaft betrachtet, die für alle Menschen verkündet wurde.
Allâh spricht zu Muhammad erklärend: { „Und Wir haben dich nur als Barmherzigkeit für die Weltenbewohner gesandt.“} [Sûra 21:107]
{„Gewiss, Wir haben dich mit der Wahrheit gesandt als Frohboten und als Warner. Und du wirst nicht nach den (Taten der) Insassen des Höllenbrandes gefragt werden.“} [Sûra 2:119]
{„Gewiss, Wir haben dir das Buch mit der Wahrheit hinabgesandt, damit du zwischen den Menschen richtest auf Grund dessen, was Allâh dir gezeigt hat. Sei kein Verfechter für die Verräter!“} [Sûra 4:105]
Diese Beispiele zeigen, dass der Islâm sich nicht als eine Religion für ein Volk, eine Rasse oder ein geographisches Gebiet versteht, sondern für alle Menschen. Der Qurân hat mehrmals betont, dass dieser Begriff „Islâm“ für alle Formen der Himmelsreligionen seit Adam gilt. Deswegen sind für den Muslim alle Propheten und Allâhs Gesandten Vorbilder.
Diese Wertordnung umfasst den Menschen in all seinen Seiten, sein Leben in allen Bereichen, das All in der Gesamtheit seiner Dimensionen. Die auffälligste Eigenschaft des islâmischen Wertkodex ist die uneingeschränkte Totalität. Glaube und Moral; Gesetz und Gottesdienst; Vergangenheit und Gegenwart; Geist und Macht; Seele und Körper, Weltliches und Geistliches; Politik; Einzelner und Gemeinschaft; Vertragssystem und Alltag; Wirtschaft, Landwirtschaft und Handel; Ehe, Scheidung und Erbe; Wissen um den Menschen, um die Fauna, die Flora und um das Universum usw. sind alle im Qurân und in der prophetischen Überlieferung mehr oder weniger detailliert behandelte Themen, wobei eine klare Dynamik zwischen Konstanten und Varianten besteht.
Dieses Wertsystem hat sein reales Vorbild in Muhammad und der Nachfolgezeit gehabt. Auch die späteren Zeiten haben sich mehr oder weniger mit dieser Wertordnung identifiziert. Abgesehen von einigen Zeitspannen, in denen die politischen Herrscher die islâmische Wertordnung nicht angemessen beachtet haben, ist sie das erstrebte Musterbeispiel aller Muslime geblieben.
Bis heute sehnt sich jeder Muslim nach einer tadellosen Nachahmung Muhammads und seiner Gefährten, d.h. die Beachtung der Grundsätze dieser Wertordnung. Denn diese Wertordnung hebt die persönliche Verantwortung hervor. Der Einzelne muss sich bemühen, sich damit zu identifizieren. Die Summe der Einzelnen bilden in ihrer Gemeinschaft ein menschliches Gebilde, das sich auch an den Grundsätzen dieser Wertordnung misst, und welches Selbstkritik nicht scheut und immer den Willen zum besseren Tun hat.
Die Konstanten in der islâmischen Wertordnung sind eigentlich wenige Grundsätze, welche sich auf die Glaubenslehre, Moral und Ethik und manche gesetzliche und gottesdienstliche Regeln beziehen.
Diese stellen bei jedem Muslim die unbezweifelbaren Bestandteile des Wertsystems dar, sie sind die Axiome, die anzuerkennen sind, da sie die Unterscheidung zwischen einem Muslim und einem Nicht-Muslim darstellen. Denn diese Regeln sind die Ecksteine des islâmischen Wertsystems, die Orientierungspunkte, die auch ein Mindestmass des einheitlichen Glaubensdenkens garantieren. Jeder Muslim muss diese Regeln beachten und ihnen folgen.
Neben diesen gibt es aber tausendfache Variablen, die unterschiedliche Deutungen dulden und flexible Bedeutungen ermöglichen, so dass man in ihnen die Lösungen der orts- und zeitbedingten Probleme suchen kann. In diesen Rahmen kommen die Leistungen der Islamwissenschaftler (Gelehrten), die auf Grund der wenigen festen Regeln die vielen flexiblen interpretieren können und für die unzählbaren Fragen des Alltags, der modernen Forschung usw. nach Antworten suchen. Aus diesem Grunde nennt man diese Gelehrte Mudschtahidûn, d.h. diejenigen, die sich eifrig und fleißig in rechtlich-theologischen Fragen anstrengen.
Der Islâm verlangt dabei von diesen Gelehrten nichts Besonderes außer Wissen und Gottesfurcht. Ihnen wird für dieses Wissen keine besondere irdische Machtstellung gegeben, keine weltliche Belohnung außer der Liebe und Respekt von den Muslimen. Diese Gelehrten ihrerseits verlangen, wie das größte Vorbild Muhammads, keinen Lohn für ihre Arbeiten, sie hoffen nur, dass sie das Richtige nicht verfehlen, damit sie Gottes Lohn erhalten können.
Jeder Muslim und jede Muslima kann Gelehrte sein, wenn bei ihm bzw. bei ihr Wissbegierde und Gottesliebe vorhanden sind und wenn er bzw. sie die nötige wissenschaftliche Kompetenz zeigen kann. Denn im Islâm gibt es keinen Klerus; jeder Muslim ist beauftragt, seine religiösen Kenntnisse auszubauen, soweit es ihm möglich ist und seine theoretischen Kenntnisse politisch, gesellschaftlich, wirtschaftlich, in der Moschee oder am Arbeitsort in die Praxis umzusetzen.
Das spiegelt die Auffassung des islâmischen Begriffs von Gott wider; Er ist Gott des Irdischen wie des Geistlichen, Seine Macht und Seine Herrschaft umschließen alles. Er ist Herr des Diesseits wie des Jenseits.
Die islâmische Weltanschauung teilt sich nicht in Gott und Welt, Teuflisches und Göttliches oder Gott und Kaiser, sondern alles unterliegt der göttlichen Kontrolle. Er ist Besitzer, Herrscher und Erhalter, dem nichts entgeht und sei es ein Atom im Himmel oder auf Erden.
Alles geht nach Seinem Willen und ein Teil dieses Willens ist die Schaffung der Gegensätze:
Teufel und Engel, Gutes und Böses usw. durch deren dauerhafte Konfrontation miteinander sich die göttliche Weisheit durchsetzt, um durch diese Prüfung das Gute auszuzeichnen und schließlich großzügig zu belohnen. So muss sich jeder Mensch bemühen, Gottes Gebote zu befolgen, weil alle vor Gott gleich sind, d.h. ihre Taten werden mit derselben Waage gewogen, weswegen es keine verschiedenen Formen der Religion gibt, eine z.B. für Priestertum und eine für das Volk. Unter allen gilt bei Gott nur ein Auszeichnungskriterium: Gottesfurcht, die mit der Liebe zu ihm verknüpft ist.
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