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Wunder in der Sira des Propheten

 


von Mohamed Laabdallaoui

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Dem gläubigen Muslim will Auftreten und Aufstieg seiner Religion als ein Wunder erscheinen; der überwältigende Erfolg der Sendung des Propheten ist ihm die schlagendste Bekräftigung ihrer Wahrheit. Auch der Außenstehende ist bereit, wenn nicht ein Wunder, so doch etwas Wunderbares darin zu sehen." (G.E. von Grunebaum)

Je prägender eine Person für die Nachwelt war, je stärker die Aura ist, die ihre Persönlichkeit umgibt, desto dogmatischer und befangener werden die Berichte über sie ausfallen – sei es für oder gegen sie. Das gilt noch stärker für die mündliche Tradition, die durch eine Kette von mehreren Überlieferern geht, bevor sie niedergeschrieben wird. Das Herausfiltern der subjektiven Elemente des jeweiligen Berichts wird dadurch sehr schwierig bis unmöglich. Die Befangenheit endet jedoch nicht bei den Berichterstattern, sie setzt sich unverändert fort bei den Historikern, die in der Vergangenheit Antworten auf Probleme der eigenen Zeit suchen. Dies trifft umso mehr auf eine Geschichtsgemeinschaft zu, in der die betreffende historische Epoche von praktischer, ja bestimmender Relevanz für die aktuelle Zeit ist. Geschichtswissenschaft ist in diesem Fall auch Philosophie, Theologie und Rechtswissenschaft. Das Leben des Gesandten Gottes Muhammad, Gottes Segen und Frieden über ihn, ist im Vergleich zu anderen historischen Gestalten seiner Zeit, aber vor allem für den Stand der damaligen arabischen Wissenschaften und Schriftkultur außerordentlich ausführlich überliefert worden. Dabei sind es nicht nur die historischen Ereignisse, sondern vor allem auch die historisch nicht datierten Aussagen und Handlungen, die das Bild von seiner Persönlichkeit und seinem Geist wiedergeben. Das Problem der subjektiven Verklärung und vor allem der narrativen Übertreibung betrifft einen Großteil der Berichte über ihn. Aber auch wenn man diesen Teil vollständig ausklammert, bleibt ein überaus reicher Fundus an Berichten, Zitaten und Überlieferungen, die über weite Strecken eine sehr detaillierte Rekonstruktion des Geschehenen, der Motive und Situationen erlauben.

Wunder und die wissenschaftliche Methode

Da unsere Zeit eine Zeit der wissenschaftlichen Methoden ist und Geschichtsschreibung sich immer an wissenschaftlichen Maßstäben messen lassen muss, ergeben sich zwischen den verschiedenen Schulen an einigen Stellen scheinbar unüberwindbare Probleme. Das beginnt bei der Stellung Muhammads selbst. Ist er Prophet und Gottes Gesandter oder nicht? Ist ihm der Koran von Gott offenbart worden oder liegt sein Ursprung letztlich doch in ihm selbst? An diesen Fragen scheiden sich die Schulen. Natürlich kann man Muhammads Geschichte schreiben ohne diese Frage abschließend zu beantworten. Und auch wenn man sie beantwortet, so wird es immer noch eine Grundlage der Kommunikation zwischen beiden Schulen geben. Aber auch das eigentliche historische Geschehen, die Darstellung der Ereignisse und ihre Erklärung werden unterschiedlich ausfallen, je nachdem, ob der Historiker ein unmittelbares göttliches Wirken in seiner Vorstellungswelt zulässt oder nicht.

Für die eine Schule sind Wunder nicht Teil der historischen Wirklichkeit, weil sie sich jenseits der naturgesetzlichen Kausalitäten bewegen. Eine Darstellung der Geschichte, die solche Wunder nicht ausschließt, ist für sie daher nicht wissenschaftlich. Warum jenseits der naturgesetzlichen Kausalitäten keine Wirklichkeit existieren darf, bleibt in dieser Schule jedoch unbeantwortet bzw. schließt sich durch eine Tautologie: Weil Wunder eben nicht wissenschaftlich sind.

Naturgesetze stellen nicht nur für gläubige Muslime jenes beständige System dar, dem Gott, ihr Schöpfer, die Welt unterworfen hat. Dieser Akt der Schöpfung selbst unterliegt jedoch nicht den Naturgesetzen und ebenso wird Gott, wann immer Er will, andere Wunder bewirken. Diese Aussage allein ist ebenso wenig wissenschaftlich oder unwissenschaftlich wie die Aussage, Natur und Naturgesetze, Welt und Universum seien ohne einen göttlichen Akt der Schöpfung entstanden. Sie begründen jedoch unterschiedliche Weltanschauungssysteme und damit unterschiedliche Wissenschaftsschulen.

Wunder und Aberglaube

Folgt man der Schule, die Wunder nicht ausschließt, dann ergibt sich allerdings ein schwerwiegendes wissenschaftliches Problem: Da Wunder nicht im naturgesetzlichen Sinne kausal sind, haftet an ihnen das Problem der meist mangelnden Falsifizierbarkeit. Die Grenzen zwischen Wunderglaube, Mythologie und Aberglaube können da sehr schnell verschwimmen. In der muslimischen Tradition hat sich die Richtung durchgesetzt, die dieses Problem nicht durch eine dogmatische Ausklammerung alles Wundersamen zu lösen versucht, sondern durch strenge Maßstäbe an die Glaubwürdigkeit der Berichterstattung. Nicht naturwissenschaftliche Falsifizierbarkeit, sondern Überprüfbarkeit der Authentizität ist dort also das Kriterium. Die Frage, ob in der Schlacht von Badr tatsächlich Engel an der Seite der Muslime gekämpft haben oder nicht, wird demnach genauso zu prüfen sein wie z.B. jene, ob der Onkel des Propheten, Abbas, erst kurz vor der Einnahme Mekkas oder schon Jahre zuvor den Islam angenommen hat: Wie glaubwürdig sind die Berichterstatter, sind die Überlieferungsketten lückenlos nachvollziehbar, wie plausibel lassen sie sich in das Gesamtbild, das von dem Geschehen rekonstruiert wird, einfügen? Da Wunder eine Ausnahmeerscheinung im Weltgeschehen sind, liegt die Beweislast auf der Seite dessen, der ihre Behauptung aufstellt. Und weil sie nur allzu gerne als einfache Erklärungen für komplexe Sachverhalte angeführt werden, weil Wunder weitaus öfter erdichtet als berichtet werden, muss Berichten von wundersamen Ereignissen mit einer tiefen Skepsis begegnet werden. Im Zweifel wird davon ausgegangen, dass sie sich nicht zugetragen haben, auch wenn man sie nicht abschließend falsifizieren kann.

Die Geschichtsschreibung der Sira-Autoren

Die Muslime, die in den ersten Jahrhunderten ihren Nachkommen vom Propheten erzählten, waren in diesem Punkt nicht alle so streng, wie es aus heutiger Sicht zu wünschen wäre. Da ihre Zeitgenossen wundersamen Erzählungen gerne Glauben zu schenken bereit waren, ihnen zumindest nicht so skeptisch gegenüber standen, wie wir es heute tun, gingen solche Erzählungen genauso in die spätere Niederschrift der Geschichte des Propheten ein, wie alle anderen auch. Natürlich wusste auch der damalige Historiker, dass nicht alles, was ihn an Geschichten und Anekdoten über den Propheten erreichte, stimmte. Und er wird wohl auch angenommen haben, dass die Geschichten umso unglaublicher waren, je phantastischer und wundersamer sie waren. Die ersten Geschichtsschreiber hatten jedoch eher den Anspruch, das mündlich überlieferte Wissen ihrer Zeit zu sammeln. Ihre Absicht war kaum, die Erzählungen zu filtern und ihre Authentizität nach wissenschaftlichen Maßstäben zu prüfen. Auch die penible Auflistung der Kette der Gewährsleute, die die Berichte von Generation zu Generation weitergaben, findet man bei den frühen Geschichtsschreibern nicht in dem Maße, wie man sie von den später entstandenen Hadith-Sammlungen kennt.

Unsere heutige Skepsis gegenüber phantastisch erscheinenden Erzählungen ist allerdings nicht neu. Auch ältere muslimische Gelehrte haben nicht alles für bare Münze genommen, was da berichtet wurde. Dennoch: Ob ein überliefertes Wunder auch der historischen Wahrheit entspricht, ist mit den Mitteln der Hadith-Wissenschaft nicht immer nachprüfbar. Was bleibt uns also, um solcherlei Erzählungen zu beurteilen?

Der Koran als historische Quelle

Da ist zunächst der Koran. Er ist insofern eine historische Quelle, als er zu einigen Ereignissen der Zeit seiner Herabsendung spricht. Seine Aussagen sind allerdings nicht datiert und auch nicht genau. Es handelt sich vielmehr um Kommentare, Ermahnungen, Bewertungen, innere Wahrheiten statt die Widergabe historischer Wirklichkeiten. Nur selten nennt der Koran selbst Anhaltspunkte, die Herstellung eines eindeutigen historischen Bezugs ermöglichen, wie zum Beispiel „Hunayn“ (at-tauba; 9; 25). Nur mit Hilfe der überlieferten Erzählungen und Berichte können wir die Ereignisse, auf die sich diese Stellen des Korans beziehen, datieren.

Wenn man jedoch ohne die Vorurteile jener Schule, die Wunder als unwissenschaftlich nicht in ihr Geschichtsbild einbezieht, die entsprechenden Stellen im Koran liest, dann ist die plausibelste Annahme jene, dass sie sich auf tatsächliche Wunder beziehen. Zum Beispiel:

"Gott half euch schon auf vielen Gefielden, und am Tag von Hunayn, als euch eure große Zahl gefiel – doch sie half euch nichts – und die Erde um euch eng wurde in ihrer Weite. Dann kehrtet ihr den Rücken. Alsdann sandte Allah Seinen Frieden auf Seinen Gesandten und auf die Gläubigen herab und sandte Heerscharen hernieder, die ihr nicht saht, und strafte jene, die ungläubig waren. Das ist der Lohn der Ungläubigen." (at-tauba; 9; 25-26)

Die himmlischen "Heerscharen" von Badr

Mit den „Heerscharen“ oder „Soldaten“ (junud) sind wohl himmlische Helfer gemeint, die die Muslime aktiv im Kampf unterstützten. Ähnlich die „Heerscharen“, die in Badr an der Seite der Muslime kämpften:

"Und damals versprach Allah euch von einer der beiden Scharen, sie solle euch gehören, und ihr wünschtet, dass diejenige ohne Kampfkraft für euch bestimmt sei … Da ihr zu eurem Herrn um Hilfe schriet, und Er euch erhörte und versprach: "Ich will euch mit eintausend Engeln nacheinander beistehen." Allah sagte dies nur als frohe Botschaft, damit eure Herzen sich beruhigten. Jedoch die Hilfe kommt von Allah allein; wahrlich, Allah ist Erhaben und Weise; denn Er ließ den Schlaf als eine Sicherheit von Ihm auf euch niedersinken; und Er sandte Wasser auf euch aus den Wolken nieder, um euch damit zu reinigen und Satans Befleckung von euch hinwegzunehmen, auf dass Er eure Herzen stärkte und (eure) Schritte festigte. Da gab dein Herr den Engeln ein: "Ich bin mit euch; so festigt denn die Gläubigen. In die Herzen der Ungläubigen werde Ich Schrecken werfen. Trefft (sie) oberhalb des Nackens und schlagt ihnen jeden Finger ab!" (al-anfal; 8; 7-12)

Die „beiden Scharen“ werden einhellig als die von Abu Sufian geführte Handelskarawane und die ihr zu Hilfe geeilte Armee aus Mekka verstanden. „Diejenige ohne Kampfkraft“ ist dabei die Handelskarawane. Damit ist der historische Bezug hergestellt, was ohne die Berichte der Sira freilich nicht möglich wäre. Die „eintausend Engel“ sind das Wunder, das Gott hier geschehen ließ. Und der Koran schildert ihre Aufgabe sehr plastisch: „Trefft (sie) oberhalb des Nackens und schlagt ihnen jeden Finger ab!“

Hier ist natürlich die Diskussion zulässig, ob diese Bilder nicht allegorisch gemeint sind, zumal der Korantext hierzu auch selbst Anlass geben mag, vor allem in der vorliegenden Übersetzung: „Allah sagte dies nur als frohe Botschaft, damit eure Herzen sich beruhigten.“ Dagegen ist allerdings einzuwenden, dass das Wort „ja’ala“ hier genauer mit „machte“ statt mit „sagte“ zu übersetzen wäre. Das „nur“ (illa) wäre hingegen ein Argument: Was könnte es sonst bedeuten als die Reduzierung der Bilder auf eine Allegorie? Aber auch dieses vermag jenen nicht recht zu überzeugen, der gegen Wunder sonst keine Vorurteile hat. Die Aussage bleibt also bestehen, dass die plausibelste Deutung dieser Stelle des Korans die Bezugnahme auf ein tatsächliches Wunder ist, auch wenn dies jenem Historiker als unbedarft erscheinen mag, der Wunder von vorneherein ausschließt.

Die Haltung des Korans zu Wundern

Der Koran nimmt nur auf sehr wenige solcher Wunder Bezug. Wenn man auch jene Stellen beiseite lässt, die in der Tradition mit Wundern in Verbindung gebracht werden, die aber von selbst keinerlei historischen Bezug herstellen (zum Beispiel die Spaltung des Mondes, Sure al-qamar; 54;1), dann bleibt die Zahl der Wunder, von denen der Koran spricht verschwindend gering im Vergleich zu ihrer Zahl in der Sira.

Im Gegenteil: Der Koran selbst wendet sich an mehreren Stellen gegen die Aufforderung der Götzendiener, Muhammads Herr solle doch die Glaubwürdigkeit Seines Gesandten mit solchen Wundern bestätigen. Statt Wunder der Art, wie sie Gott für Moses und Jesus geschehen ließ („Beglaubigungswunder“), spricht der Koran immer wieder von sich selbst als das (einzige) Beglaubigungswunder Muhammads. Das entspricht auch der Besonderheit des Propheten Muhammad als letztem Propheten und des Korans als letzter göttlicher Botschaft an die Menschen: Das Beglaubigungswunder sollte Bestand haben und auch für spätere Generationen wirksam sein.

Wunder und die Hadith-Wissenschaft

Was ist dann mit den anderen Wundern, von denen so vielfach in den Berichten der Tradition die Rede ist? Die Grundhaltung ist die der Skepsis, ähnlich wie die gesamte Hadithwissenschaft Überlieferungen zunächst mit Skepsis begegnet: Ein Hadith ist solange nicht authentisch, wie dies nicht positiv nachgewiesen ist. Die Gelehrten der islamischen Dogmenlehre sind in diesem Punkt noch strenger: Ein ahad-Hadith, dessen Überlieferungskette in den ersten Generationen aus jeweils nur einem oder wenigen Berichterstattern besteht, auch wenn er sonst den Maßstäben der Hadithwissenscht genügt, ist nicht geeignet, Dogmen zu begründen: Er belegt nur eine hohe Wahrscheinlichkeit (dhann), keine Gewissheit (yaqin). Für den Fiqh, also die juristische Anwendung, mag diese hohe Wahrscheinlichkeit meist hinreichend sein, aber nicht für die Dogmenlehre. Die meisten, wenn nicht alle Berichte zur Sira sind solche ahad-Überlieferungen. Sprechen sie von Wundern, die sich zugetragen haben sollen, dann ist ihre historische Wirklichkeit lediglich wahrscheinlich, nicht aber gesichert.

Die meisten Wunder werden jedoch in Berichten überliefert, die den Anforderungen der Hadith-Wissenschaft keinesfalls genügen. Dazu gehören zum Beispiel die vielen Wunder, die sich zur Geburt Muhammads ereignet haben sollen: Aus dem Unterleib seiner Mutter soll zum Beispiel ein erstaunliches Licht ausgeströmt sein, das sogar in fernen Landen wahrgenommen worden sei. Solche Geschichten sind dann wohl eher dem frommen Volksglauben zuzuordnen.
 


Quelle: http://muhammad.islam.de

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