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Michael Wolfe (USA) - Autor

 


Je mehr ich über den Islâm lernte, desto mehr schien es, dass er zu dem passte, wonach ich suchte. Die meisten gebildeten Westler, die ich zu dieser Zeit kannte, betrachteten jedes stark religiöse Klima mit Skepsis. Sie hielten Religion für politische Manipulation oder sie taten sie als mittelalterliches Konzept ab, was sie aus den Ideen der europäischen Vergangenheit ableiteten.

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Ich habe keine neue Religion im Laden gekauft

 

Nach 25 Jahren als Autor in Amerika, wollte ich etwas finden, das meinen Zynismus lindert. Ich war auf der Suche nach neuen Sichtweisen. Die Art, wie man erzogen wird, setzt bestimmt Maßstäbe für dieses Bedürfnis. Ich kam aus einem pluralistischen Hintergrund, so habe ich mich immer sehr mit Rassismus und Freiheit auseinander gesetzt. Dann, als ich Anfang zwanzig war, habe ich drei Jahre in Afrika gelebt. Während dieser Zeit, die mich geprägt hat, habe ich viele Schwarze von unterschiedlichen Stämmen, Araber, Berber, sogar Europäer, die Muslime geworden waren, direkt kennen gelernt. Im Großen und Ganzen teilen diese Menschen nicht die westliche Sicht der Rasse als soziale Klasse. Bei unseren Begegnungen machte eine seltsame Hautfarbe kaum was aus. Ich wurde erstmal willkommen geheißen und später anhand meiner Verdienste bewertet. Im Gegensatz dazu klassifizieren Europäer und Amerikaner, auch die, die keine rassistischen Neigungen haben, die Leute erstmal nach der Rasse. Muslime klassifizieren Leute nach ihrem Glauben und ihren Taten. Ich fand das transzendent und erfrischend. Malcolm X sah darin die Befreiung seiner Nation. „Amerika muss den Islâm verstehen“, schrieb er, „weil dies die Religion ist, die die Gesellschaft von ihrem Rassenproblem befreit.“

Ich suchte auch nach einem Ausweg aus den isolierenden Zügen einer materialistischen Kultur. Ich wollte Zugang zu geistigen Dimensionen, aber die konventionellen Wege, die ich als Junge kennen gelernt hatte, waren verschlossen. Mein Vater war ein Jude, meine Mutter Christin. Wegen diesem Hintergrund hatte ich je einen Fuß in zwei verschiedenen religiösen Lagern. Beide Glaubensrichtungen waren ohne Zweifel tiefgründig. Doch ich fand bei der einen die Vorstellung eines auserwählten Volkes unhaltbar; während die andere, die auf einem Mysterium beruht, mich zurückstieß. Vor einem Jahrhundert war der Name meiner Ururgroßmutter mütterlicherseits an der Kirche Christus in der High Street in Hamilton, Ohio in Glas geschrieben worden. Damals war ich 12 Jahre alt und das hatte keine Bedeutung für mich. 

Dies waren die Begriffe, die ich in meinem jungen Leben hatte. Je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr besann ich mich auf meine Erfahrungen im islâmischen Afrika. Nach zwei weiteren Besuchen in Marokko 1981 und 1985, fühlte ich, dass Afrika, der Kontinent, wenig mit dem ausgewogenen Leben, das ich dort fand, zu tun hatte. Es war weder der Kontinent, nach dem ich strebte, noch eine Institution. Ich suchte nach einem Rahmen, in dem ich leben konnte, einen Wortschatz von geistigen Annahmen, der sich auf das Leben anwenden lässt, das ich nun führte. Ich wollte nicht meine Kultur eintauschen. Ich wollte Zugang zu neuen Bedeutungen.

Auf einem Transatlantikflug ging ich nach dem Abendessen ins Bad um mich zu waschen. Während meiner Abwesenheit hatte sich vor der Tür eine kleine Anzahl chassidischer Juden zum Gebet aufgestellt. Als ich fertig war, waren sie zu vertieft, um mich zu bemerken. Ich konnte kaum die Türklinke drücken, auf den Gang hinauszugehen war undenkbar. Ich konnte nur da stehen mit dem Kopf auf den Gang gestreckt und auf die Rücken der Versammelten sehen. Mit ihren handtellergroßen Gebetsbüchern, die sie hielten, waren sie ein beeindruckendes Bild, wie sie die Texte auf ihre Brustkörbe schlugen, als sie den Gottesdienst vollzogen. Nach und nach wurden ihre Bewegungen unregelmäßig, wie eine leichte, schwankende Form des Rock and Roll. Ich betrachtete sie von der Badezimmertür aus, bis sie das Beten beendeten, dann ging ich durch den Gang zu meinem Sitz zurück. Wir landeten später in der Nacht zusammen in Brüssel. Als ich wieder an Bord ging, fand ich eine jiddische Zeitung auf einem Tablett. Als das Flugzeug nach Marokko startete, waren sie weg. 

Ich will hier nicht implizieren, dass mein Leben während dieser Zeit mit irgendwelchen größeren Plänen in Einklang war. Am Anfang, um 1981, war ich von Neugier getrieben und hatte Lust auf Reisen. Mein Lieblingsort, an den ich ging, wenn ich Geld hatte, war Marokko. Wenn ich nicht reisen konnte, nahm ich Bücher. Die Faszination brachte mich mit einer Handvoll Autoren in Kontakt, die es eher zum Exotischen zog, Autoren, die zu Sätzen wie diesen von Freya Stark in der Lage waren:

Der ewige Charme von Arabien ist, dass der Reisende sich dort einfach als Mensch wieder findet; die Direktheit der Menschen, die alles Sentimentale oder Pedantische tötet; die weniger komplizierten Tugenden; und das angenehme Gefühl wegen seiner selbst gemocht zu werden, können, denke ich, zu den fünf Gründen für das Reisen, die Sayyid Abdullâh, der Uhrmacher mir genannt hat, hinzugefügt werden: „Seine Sorgen hinter sich lassen, seinen Unterhalt finden, mehr zu lernen, gute Sitten pflegen und ehrenhafte Männer zu treffen.“

Ich hätte keine Liste von Ansprüchen machen können, aber ich hatte eine gute Idee von dem, worauf ich aus war. Die Religion, die ich wollte, sollte sich zur Metaphysik verhalten, so wie sich die Metaphysik zur Wissenschaft verhält. Sie sollte nicht vom begrenzten Rationalismus eingeengt werden oder sich in Mysterien verfangen, um den Priestern zu gefallen. Es sollte keine Priester geben, keine Trennung zwischen Natur und den heiligen Dingen. Es sollte keinen Krieg mit dem eigenen Fleisch geben, wenn ich es verhindern könnte. Sex sollte natürlich sein, nicht der Samen von Unsegen über den Geschlechtern. Schließlich wollte ich rituelle Komponenten, tägliche Routine, die die Sinne schärft und meinen Geist diszipliniert. Mehr als alles wollte ich Klarheit und Freiheit. Ich wollte nicht den Verstand eintauschen, nur um mich mit einem Dogma zufrieden zu geben.

Je mehr ich über den Islâm lernte, desto mehr schien es, dass er zu dem passte, wonach ich suchte. Die meisten gebildeten Westler, die ich zu dieser Zeit kannte, betrachteten jedes stark religiöse Klima mit Skepsis. Sie hielten Religion für politische Manipulation oder sie taten sie als mittelalterliches Konzept ab, was sie aus den Ideen der europäischen Vergangenheit ableiteten.

Es ist nicht schwer, eine Quelle ihrer Meinungen zu finden. Tausend Jahre westlicher Geschichte hatten uns mit vielen Gründen zurückgelassen, den Weg nicht zu gehen, der durch soviel Ignoranz und Quälerei geführt hat. Von den Kinderkreuzzügen zur Inquisition zu den verdrehten Überzeugungen des Nazismus und Kommunismus während unseres Jahrhunderts, ganze Länder wurden durch Glauben ausgebeutet. Nietzsches Befürchtung, dass der moderne Staat die Religion ersetzen würde, hat sich als tragisch genau herausgestellt. Unser Jahrhundert, so scheint mir, endete in einem Zeitalter ohne Glauben, das Gläubige als auch Agnostiker bewohnen.

Trotz Zugehörigkeit zur Kirche, die Luft, die Westler atmen, die Linse, durch die wir sehen, ist die des säkularen Humanismus. Wie jede Weltsicht ist diese Sicht überall vorhanden und transparent. Sie bildet die Basis unserer breiten Identifikation mit Demokratie und mit dem Streben nach Freiheit in all ihren zahllosen und verführerischen Formen. Tief verankert in unserer gemeinsamen Beschäftigungen, kann man leicht vergessen, dass es auch noch andere Arten zu leben auf diesem Planeten gibt.

Zur Zeit meiner Reise, zum Beispiel, gab es 650 Millionen Muslime, die in 44 Ländern die Mehrheit bilden, die sich an die Lehren des Islâms halten. Darüber hinaus gibt es rund 400 Millionen mehr, die als Minderheiten in Europa, Asien und Amerika leben. In der Zeit der postkolonialen Wirtschaft ist der Islâm innerhalb von 30 Jahren ein wichtiger Glaube in Westeuropa geworden. Als eine der großen Weltreligionen hat der Islâm allein in seiner Gemeinde zugenommen. 

Meine politisch interessierten Freunde waren über mein neues Interesse bestürzt. Sie alle verwechselten den Islâm mit den Machenschaften von einem halben Dutzend Tyrannen im mittleren Osten. Die Bücher, die sie lasen, die neuen Sendungen, die sie sahen, beschrieben den Glauben als ein Set von politischen Funktionen. Es wurde beinahe nichts über seine spirituelle Praxis gesagt. Ich zitiere ihnen gerne Mae West: "Jedes Mal, wenn du dich über Religion lustig machst, hast du das Nachsehen".

Historisch sieht ein Muslim den Islâm als endgültigen, reifen Ausdruck einer ursprünglichen Religion, die bis auf Adam zurückreicht. Er ist entschieden monotheistisch wie das Judentum, dessen große Propheten vom Islâm in einer fortschreitenden Kette gesehen werden, die in Jesus und Muhammad mündet. Im Wesentlichen ist der Islâm eine Botschaft der Erneuerung und er hat seinen Teil auf der Weltbühne beigetragen, um Millionen von Menschen den vergessenen Geschmack der Süße des Lebens zurückzugeben. Sein Buch, der Qurân, brachte Goethe dazu, zu bemerken: „Man sieht, diese Lehre versagt nie; mit all unseren Systemen können wir nicht, und allgemein gesagt, kann kein Mann weiter gehen.“

Traditionell wird der Islâm ausgedrückt durch die Praxis der fünf Säulen. Sein Glaubensbekenntnis, das Gebet, Wohltätigkeit und Fasten sind Aktivitäten die man das Leben lang ausübt und wiederholt. Wenn die Umstände es zulassen, soll jeder Muslim zusätzlich einmal im Leben die Pilgerfahrt nach Mekka unternehmen. Der arabische Ausdruck für diese fünfte Säule ist Haddsch. Gelehrte beziehen das Wort auf das Konzept von Streben, Hoffnung und der Idee, dass Männer und Frauen nur Reisende auf dieser Welt sind. In den westlichen Religionen ist das Pilgern eine verkümmerte Tradition, ein altmodisches, folkloristisches Konzept, im Allgemeinen auf eine Metapher reduziert. Unter Muslimen dagegen verkörpert die Hadsch eine lebendige Erfahrung für Millionen von neuen Pilgern jedes Jahr. Trotz der modernen Inhalte in ihrem Leben bleibt sie ein Akt der Gehorsamkeit, ein Ausdruck von Glauben und die sichtbare Expression von geistiger Gemeinschaft. Für die meisten Muslime ist die Hadsch das ultimative Ziel, die Reise ihres Lebens.

Als Konvertit fühle ich mich verpflichtet nach Makka zu reisen. Als Reisesüchtiger könnte ich mir kein zwingenderes Ziel vorstellen.

Das jährliche, einen Monat andauernde Fasten im Ramadân findet ungefähr einhundert Tage vor der Haddsch statt. Diese beiden Riten bilden eine Zeit von gesteigertem Bewusstsein in der muslimischen Gesellschaft. Ich wollte diese Zeit nutzen. Ich hatte über den Islâm gelesen und mich einer Moschee in der Nähe meines Hauses in Kalifornien angeschlossen. Ich hatte mit der Praxis angefangen. Nun hoffte ich zu vertiefen, was ich gelernt hatte, indem ich in eine Religion eintauchte, wo der Islâm jeden Aspekt der Existenz bestimmt.

Ich plane, in Marokko anzufangen, weil ich dieses Land gut kenne und weil es dem traditionellen Islâm folgt und die Lage stabil ist. Der letzte Ort, an dem ich anfangen wollte, ist eine Provinz voll von lauten Sektierern. Ich wollte im Hauptstrom schwimmen, im breiten, ruhigen Gewässer. 


Quelle: islamweb.net

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